Sind sogenannte „eindeutige Aussagen“ so eindeutig, wie wir denken?
veröffentlicht Dez 10, 2021 von Danutasn Brown in Der Charakter Gottes
Der Hauptangriff, den die Menschen gegen ein tieferes Studium darüber, wie Gott wirkt, richten, ist, dass wir die „Eindeutigkeit“ und „Wörtlichkeit“ der Schrift zerstören. Für sie bedeutet ein Vers wie „Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, vernichten...“ (1. Mo 6,7) eindeutig, dass Gott die Welt übernatürlich und direkt überflutet hat. Das gilt auch für „der Herr ließ Schwefel und Feuer vom Herrn aus dem Himmel auf Sodom regnen“.
Aber es gibt ähnliche „eindeutige Aussagen“ über Gottes Handeln, die die Bibel selbst uminterpretiert, zum Beispiel:
Und der Herr redete zu Mose und sprach: Sende Männer aus, daß sie das Land Kanaan auskundschaften, das ich den Kindern Israels geben will. Von jedem Stamm ihrer Väter sollt ihr einen Mann schicken, lauter Fürsten aus ihrer Mitte! (4.Mose 13,1.2)
Nach Ansicht von Bibelstudenten, die sich auf das Prinzip der wörtlichen Auslegung einfacher Aussagen berufen, scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, als zu sagen, dass es Gottes Idee war, Kundschafter auszusenden. Aber Mose gibt im Deuteronomium eine radikale Neuinterpretation der Ereignisse:
Da sprach ich zu euch: Ihr seid zum Bergland der Amoriter gekommen, das uns der Herr, unser Gott, geben will. Siehe, der Herr, dein Gott, hat dir das Land gegeben, das vor dir liegt; zieh hinauf, nimm es in Besitz, so wie es der Herr, der Gott deiner Väter, dir verheißen hat. Fürchte dich nicht und sei nicht verzagt! Da kamt ihr alle her zu mir und spracht: Laßt uns Männer vor uns hersenden, die für uns das Land erkunden und uns Bericht bringen über den Weg, den wir ziehen, und die Städte, in die wir kommen sollen! Und die Sache war gut in meinen Augen, und ich nahm von euch zwölf Männer, aus jedem Stamm einen Mann. (5.Mose 1,20-23)
Hier scheint es, als wäre es ihre Idee gewesen, nicht Gottes Plan. Aber diesen Eindruck würde man niemals aus dem ursprünglichen Gebot Gottes gewinnen, wo es anscheinend sehr klar und deutlich heißt, dass es Gottes Idee war.
Nun mag sich der Leser fragen, wie wir diesen Widerspruch auflösen sollen. Genau das ist der Zweck all des Materials, das wir über den Charakter Gottes geschrieben haben. Wir haben versucht, ihn zu erklären.
Aber die Absicht dieses Artikels ist nicht zu erklären, sondern lediglich zu zeigen, dass das, was an der Oberfläche wörtlich und eindeutig erscheint, es nicht unbedingt ist. Gott möchte, dass wir tiefer graben - vor allem dann, wenn die direkte Aussage im Widerspruch zu der Offenbarung Gottes steht, die Er den Menschen in der Person Seines Sohnes Jesus Christus gegeben hat.
Hier ist ein weiteres Beispiel:
Und der Zorn des Herrn entbrannte wieder gegen Israel, und er reizte David gegen sie, indem er sprach: Geh hin, zähle Israel und Juda! (2.Samuel 24,1)
Es ist doch klar genug, oder? Völlig eindeutig! Gott war zornig und befahl David, Israel zu zählen. Als David dies tat, schickte Gott eine Pestilenz, um seinen Stolz zu bestrafen. 70.000 sterben. Es ist eine seltsame Geschichte, aber für diejenigen, die in der Tradition geboren sind, dass Gott direkt tötet, gibt es keinen Grund, sie in Frage zu stellen - Gott kann tun, was Er will.
Das Problem entsteht, wenn Nichtchristen die Geschichte lesen. Es war Gottes Idee, warum also hat Er David dafür bestraft? Haben sie nicht ein gutes Argument? Vor allem in Anbetracht eines Verses wie diesem:
Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht auch niemand; … (Jakobus 1,13)
Es scheint, dass Gott David in Versuchung geführt hat. Was soll man also tun? Einfach mit der kognitiven Dissonanz leben? Akzeptieren, dass manche Dinge ein Rätsel sind?
Aber die Bibel lässt das nicht zu. In 1. Chronik 21,1-3 wird die Geschichte anders erzählt:
Und Satan stand auf gegen Israel und reizte David, Israel zählen zu lassen. Und David sprach zu Joab und zu den Obersten des Volkes: Geht hin, zählt Israel von Beerscheba an bis nach Dan, und bringt mir Bericht, damit ich ihre Zahl erfahre! (1.Chronik 21,1.2)
Jetzt heißt es, dass SATAN David zur Volkszählung gereizt hat, und nicht Gott! Was soll man davon halten? 1. Chronik wurde von Esra geschrieben, der lange nach Samuel lebte. Würden wir Esra vorwerfen, dass er Samuels klare „So spricht der Herr“-Aussage „vergeistigt“ hat? Esra hat sie nicht nur vergeistigt, er hat sie auf den Kopf gestellt!
Ein weiteres berühmtes Beispiel sind die vielen Male, in denen Gott böse Geister „sendet“, um Menschen zu quälen.
Aber der Geist des Herrn wich von Saul, und ein böser Geist, von dem Herrn [gesandt], schreckte ihn. (1.Samuel 16,14)
Kommuniziert Gott mit Dämonen und arbeitet Er mit ihnen zusammen, um Menschen zu „schrecken“ und zu quälen? Schickt Gott böse Geister zu Saul und reizt David, eine Volkszählung in Israel durchzuführen („Israel zählen zu lassen“)? Der STA-Bibelkommentar sagt:
Die Heilige Schrift stellt Gott manchmal so dar, dass Er etwas tut, was Er nicht ausdrücklich verhindert. (SDA BC Bd. 2, S. 531; zu 1.Sam 16,14)
In dem hier vorliegenden Vers haben wir einen weiteren Fall, in dem von Gott gesagt wird, dass Er das tut, was Er nicht verhindert. (SDA BC vol. 2, p710; zu 1.Sam 16,14)[1]
Dies ist ein ganz anderes Prinzip als die einfache wörtliche Lesart von Gottes Handeln, die viele verwenden. Nach hebräischem Verständnis kann von Gott gesagt werden, dass Er etwas getan hat, das Er nicht verhindert hat. Im Fall der Zählung Israels war es also Satan, der David reizte, das Volk zu zählen, und weil Gott dies nicht verhinderte, sagt die Bibel, dass Gott David dazu reizte.
Das wirft die Frage auf: Wie kann man wissen, wann Gott direkt handelt und wann Er es zulässt?
Beachte einen anderen Vers. Simei, der Sohn von Saul, verflucht und verhöhnt David, weil er das Königreich an Absalom verloren hat. Davids Soldat will ihn deswegen umbringen. David sagt daraufhin:
Aber der König sprach: Ihr Söhne der Zeruja, was habe ich mit euch zu tun? Laß ihn doch fluchen! Wenn der Herr zu ihm gesagt hat: Fluche dem David! – wer will dann sagen: Warum tust du dies? (2.Samuel 16,10)
Der Herr hatte Simei gesagt, David zu verfluchen? Wirklich? Wenn Menschen in unserer Welt fluchen, ist es, weil Gott es ihnen befohlen hat? Was meint David damit? Der berühmte Kommentator Adam Clarke erklärt es folgendermaßen:
Niemand kann annehmen, dass Gott jemals einem Menschen befohlen hat, einen anderen zu verfluchen, geschweige denn, dass Er einem Schurken wie Simei befohlen hat, einen Mann wie David zu verfluchen; aber das ist eine Besonderheit der hebräischen Sprache, die nicht immer zwischen Erlaubnis und Gebot unterscheidet. Oft schreibt die Schrift Gott das zu, was Er nur zulässt, oder was Er im Rahmen seiner Vorsehung nicht verhindert. David jedoch betrachtet all dies als von Gott erlaubt, um ihn zu züchtigen und zu demütigen. (Adam Clarke Commentary on 2 Samuel 16:10-11)
Wie wir sehen können, sind oft mehr Details nötig, um wirklich zu verstehen, was in der Geschichte passiert ist. In den beiden oben genannten Beispielen würden wir einen falschen Eindruck bekommen, wenn wir einfach nur wörtlich lesen würden, dass Gott es getan hat.
Wenn gesagt wird, dass Gott die Herzen der Menschen verstockt (2.Mose 10,20), sie einer unwürdigen Gesinnung übergibt (Römer 1,28), ihnen eine wirksame Kraft der Verführung sendet, so daß sie der Lüge glauben (2.Thessalonicher 2,11) - was bedeutet, dass Er gegen Seinen Charakter handelt, eine Lüge und dergleichen -, dann ist das unendlich weit davon entfernt, einen wirkungsvollen Impuls in Gott, dem Allmächtigen, zu meinen. Dass all diese Verben - verstocken, verblenden, übergeben, Kraft der Verführung senden, täuschen und dergleichen - durch einen gewöhnlichen Hebraismus nur eine zulassende Bedeutung haben, obwohl sie aktiv klingen, ist unumstritten. (Thomas Pierce, I, p23-24 edition of 1658 as quoted in Jackson, The Providence of God, p401)[2]
Aber hier ist der Kern des Problems. Wenn die Bibel mit aktiven Verben geschrieben ist, wenn Gott Handlungen vollzieht, die aber auch Erlaubnis bedeuten können, wie können wir dann wissen, ob Gott etwas direkt tut oder es erlaubt bzw. zulässt? Wie können wir es wissen, wenn es doch auf die gleiche Weise geschrieben ist? Es gibt nur eine Möglichkeit - wenn ein direktes Handeln gegen Seinen Charakter verstoßen würde.
Es entspricht nicht Gottes Charakter und Seinem System, bösen Geistern zu befehlen, Menschen zu quälen. Daher muss „ein böser Geist, von dem Herrn [gesandt], schreckte ihn“ bedeuten, dass Gott einem bösen Geist erlaubte, Saul zu schrecken, weil Saul den Geist Gottes von sich stieß und Gott Saul daher nicht vor bösen Geistern beschützte.
Um das Wort Gottes also richtig zu verstehen, muss man wissen, wer Gott ist. Und um zu wissen, wer Gott ist, muss man Seinen Sohn kennen und durch die Lehren Christi das Puzzle Stück für Stück zusammensetzen. Gottes Charakter wird durch unsere fleischliche Feindschaft von uns natürlicherweise immer missverstanden. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir meinen zu verstehen, wie und warum Gott handelt. Wir sollten geduldig sein und die Teile langsam zusammensetzen, wie im Fall der Geschichte von den Kundschaftern, die nach Kanaan geschickt wurden. Alle relevanten Daten sollten berücksichtigt werden.
Um gewaltige Ereignisse wie die Sintflut zu verstehen, sollten wir da nicht nachforschen, ob es andere Stellen in der Bibel gibt, an denen das Ereignis näher erläutert wird? Hier ist ein Beispiel:
Willst du den Weg der Vorzeit befolgen, den Pfad, auf dem die Frevler einhergingen, die vor ihrer Zeit weggerafft wurden, deren Fundament der Strom wegriß, die zu Gott sprachen: »Weiche von uns!« und: »Was kann der Allmächtige einem schon tun?« (Hiob 22,15-17)
Dieser Vers gibt dem Ereignis eine andere Dimension. Es ist nicht einfach so, dass Gott zornig ist und zuschlägt. Hier wird es so dargestellt, dass Gott weggestoßen wird und den freien Willen des Menschen respektiert - ein ganz anderer Eindruck als der, den die meisten beim bloßen Lesen von 1. Mose 6 bekommen hätten.
Genau darum geht es bei dem Studium über den Charakter Gottes. Es ist kein Angriff auf die Heilige Schrift. Es ist der Versuch, Gott besser zu verstehen und zu kennen, was, wie Jesus in Johannes 17 sagt, der Schlüssel zum ewigen Leben ist. Das ist kein einfaches Thema, denn jede Geschichte in der Bibel muss im Lichte dessen verstanden werden, wie Gott wirkt, wie die Menschen denken, dass Gott wirkt, ihre kulturelle Weltanschauung in Bezug auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, das Umfeld, in dem sie sich befinden, wie viel Licht sie hatten usw. Einfach zu sagen, dass Gott dem Satan erlaubt, etwas zu tun, ist also nicht immer der Fall.
Wir haben in verschiedenen Büchern und Broschüren verschiedene Grundsätze dargelegt: Die Herrschaft über die Erde, Gottes fremdartiges Werk, Natürliche Gerechtigkeit und Versöhnung, Schlagende Engel usw. Wir empfehlen diese für weitere Details.
Ich schreibe dies als Appell an diejenigen, die meinen, wir würden die Wahrhaftigkeit der Heiligen Schrift angreifen. Das tun wir nicht! Wir versuchen lediglich, alle relevanten Verse zu einem Thema zu nehmen, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Die Argumente derjenigen, die behaupten, wir würden die Schrift angreifen, sind die gleichen wie die derjenigen, die ein ewiges Höllenreich verteidigen. Wenn wir versuchen zu zeigen, dass „ewiges Feuer“ in Judas etwas anderes bedeuten kann als das übliche Verständnis, werden wir oft von denen angegriffen, die an ihren Vorurteilen festhalten wollen. Sind wir vielleicht auch schuldig, dies zu tun? Bitte lasst uns nicht die Ausrede der „eindeutigen Aussagen“ benutzen, um unsere Hypothesen zu befriedigen, wie es diejenigen tun, die sagen, dass Menschen „für immer und ewig brennen“ werden. Lasst uns in unserem Bibelstudium wachsen. Ich schließe mit diesem Zitat:
Diejenigen, die sich für die Verkündigung der dritten Engelsbotschaft einsetzen, durchsuchen die Heilige Schrift nach demselben Plan, den Vater Miller angenommen hat. In dem kleinen Buch mit dem Titel „Views of the Prophecies and Prophetic Chronology“ (Ansichten über die Prophezeiungen und die prophetische Chronologie) gibt Vater Miller die folgenden einfachen, aber vernünftigen und wichtigen Regeln für das Bibelstudium und die Bibelauslegung an: „1. Jedes Wort muss seine passende Bedeutung für das in der Bibel dargestellte Thema haben; 2. die gesamte Schrift ist notwendig und kann durch sorgfältige Anwendung und Studium verstanden werden; 3. Nichts, was in der Schrift geoffenbart ist, kann oder wird denen verborgen bleiben, die im Glauben und ohne Zögern fragen. 4. Um die Lehre zu verstehen, muss man alle Texte zu dem Thema, das man wissen will, zusammentragen, und dann jedes Wort in seiner richtigen Weise wirken lassen; und wenn man seine Theorie ohne Widerspruch aufstellen kann, kann man nicht falsch liegen. 5. Die Schrift muss ihr eigener Ausleger sein, denn sie ist eine Regel in sich selbst. Wenn ich mich auf einen Lehrer verlasse, der mir die Schrift erklärt, und er sollte ihre Bedeutung erraten oder sie aufgrund seines sektiererischen Glaubens so haben wollen, oder um für weise gehalten zu werden, dann ist seine Mutmaßung, sein Wunsch, sein Glaube oder seine Weisheit meine Regel und nicht die Bibel.“ Das Obige ist ein Teil dieser Regeln; und wir werden gut daran tun, bei unserem Bibelstudium die dargelegten Grundsätze zu beherzigen. (RH November 25, 1884, par. 23 - RH November 25, 1884, par. 25)
[1] Mehr (in Englisch) zum Thema „erlaubende Redewendung“ (permissive idiom) im STA-Bibelkommentar: https://characterofgod.org/sda-commentary-permissive-idiom/
[2] Siehe weitere Erklärungen (in Englisch) von Geschichtswissenschaftlern: https://characterofgod.org/i-create-evil/